Das soziale Medium der Vergangenheit
Streit über Hochschulpolitik, Einladungen zu Erstsemesterpartys oder Aufforderungen zu Vorlesungsstreiks – was heutzutage über Soziale Medien in Sekunden verfasst und verbreitet werden kann, musste in analogen Zeiten einen wesentlich umständlicheren Weg nehmen.
Mit einer Menge DIY-Charme ausgestattet, übernahmen mehr oder weniger regelmäßig erscheinende Publikationen damals die Rollen von Diskussionsforum bis Veranstaltungskalender. Ab und zu wurden sogar Streitgespräche mithilfe dieses Mediums geführt – auch wenn die Antwortzeiten nach heutigem Maßstab natürlich völlig inakzeptabel sind und wahrscheinlich als Ghosting ausgelegt werden würde.
Die Rede ist hierbei von Flugblättern, die in Mensen und Hörsälen in ganz Deutschland über Jahre Hochkonjunktur hatten. Für die Universität Oldenburg im Besonderen gibt es dank Hermann Havekost einen ungewöhnlich großen Bestand dieser Dokumente – gesammelt in der Flugblattsammlung des Universitätsarchivs. In der Zeit von 1974 bis 1998 sammelte der ehemalige Direktor des Bibliotheks- und Informationssystems aus eigenem Antrieb tausende einfache Flyer, Veranstaltungsposter und Zeitschriften. Nun bieten sie einen interessanten Einblick in das Studierendenleben und die Hochschulkultur in Oldenburg vor der Jahrtausendwende.
Besonders in den 1970er und 1980er Jahren schien jede Gruppe, die den Eindruck hatte, etwas an die Uni-Öffentlichkeit weitergeben zu müssen, ein eigenes Blatt herauszubringen. Stundenlang wurde an den in Handarbeit hergestellten Druckvorlagen gesessen und gefeilt – hier noch eine ausgeschnittene Karikatur, da noch ein selbstgemaltes Logo und dann ab in den Druck!
Flagge zeigen bei der Namensgebung
Die Kreativität bei der Erstellung der Flugblätter schwankte dabei von Urheber*in zu Urheber*in sehr stark, was sich auch in den Titeln niederschlägt. Einige sollten wohl nur direkt klar machen, welche Gesinnung hinter der Veröffentlichung steht, wie etwa bei „Der Kommunist“ oder „NPD-Express“. Andere Gruppen wollten bei der Wahl von Namen wie „Unter dem Roten Banner“ oder „Vox Populi“ noch etwas plakativer sein. In späteren Jahren kamen dann vermehrt auch unpolitische Publikationen auf, die allein durch ihre Titel nicht unbedingt auf die Verantwortlichen schließen lassen. Beispielsweise würde man bei „Vollmilch“ wohl nicht unbedingt an die Zeitschrift der Fachschaft Informatik denken.
Mit den Jahren wurden die Blätter immer professioneller produziert. Schlägt man einen Sammlungsordner aus den 1970er Jahren auf, so bekommt man alles schwarz-auf-weiß – aber mehr auch nicht. In jüngeren Jahrgängen finden sich dann deutlich mehr Farben und professionellere Layout- und Drucktechniken, sowie auch mehr thematische Vielfalt verbunden mit längeren Zeitschriften.
Themenvielfalt wurde großgeschrieben
Geschrieben wurde über damals aktuelle Themen, die für Studierende und Uni-Angehörige von Interesse waren. Wohnungsnot, Einführung eines NC oder die Einrichtung von Instituten wurden unter die Lupe genommen und heiß diskutiert. Zusätzlich wurden auch Ereignisse behandelt, die über die Grenzen Oldenburgs und auch Deutschlands hinaus relevant waren. Ob zum Chinesisch-Vietnamesischen Krieg, dem Regime in Chile, der Südafrikanischen Protestbewegung oder dem 1. Golfkrieg – zu allem hatten die Blätter Informations- und Meinungsartikel zu bieten.
Sprachliche Auswüchse
Sprachlich waren diese Artikel oft durchaus gewandt – und die Autor*innen manchmal erkenntlich bemüht, ihre Eloquenz unter Beweis zu stellen. So kann man etwa davon lesen, dass die „oktroierte Satzung […] einen eklatanten Angriff auf unsere Rechte“1 darstelle. Andere versuchten sich eher am Ton politischer Kommentator*innen. Gut zu sehen in diesem Ausschnitt aus einem Artikel über das Wahlkampfverhalten des damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß: „Der bayrische Bierzeltmatador zieht durch die Lande und sagt der bundesdeutschen Linken den Kampf an.“2 Teilweise entstanden auch Auswüchse, die heutige Leser wohl vor allem rätselnd zurücklassen. So unterzeichnete der Sozialistische Hochschulbund ein Flugblatt mit dem Kürzel „V. i. S. d. F. d. G. c. H. &17u. s. w. s. t. c.“ nur um im P.S. mysteriös nachzuschieben: „Irmgard ist immer informiert“3 Was es damit auf sich hatte, wird wohl leider ein Geheimnis bleiben.
Stöbern ausdrücklich empfohlen
Ob man sich nun für die damalige Hochschulkultur und -politik, authentische Dokumente zum Zeitgeschehen oder auch einfach für kreative Formulierungen interessiert – die Flugblattsammlung ist ein wahres Füllhorn an Informationen.
Bei Interesse sollten Sie sich einmal im Spezial-Katalog zur Sammlung umschauen: http://diglib.bis.uni-oldenburg.de/litecat/cats/flugblattsammlung/
Quellen
1 OL UniA 1979/2, 1; Flugblattsammlung
2 OL UniA 1979/2, 5; Flugblattsammlung
3 OL UniA 1976/2, 2; Flugblattsammlung

